Autor: Markus Frutig | Geschäftsführer Inoveris 

«Um alle Menschen mit Lebensmitteln dezentral zu versorgen, braucht es eine Verpackung»

Am 30. – 31. März 2022 findet in der BERNEXPO wieder der nationale Branchentreffpunkte EMPACK 2022 statt. Diverse Aussteller aus dem Bereich Verpackung präsentieren vor Ort Ihre aktuellen Innovationen und die neusten Lösungen für die Herausforderungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Das Leitthema der EMPACK 2022 ist «The Future of Packaging». Im SVI-Roundtable zum Thema nahm Patrick Semadeni, SVI-Vorstandsmitglied und CEO der Semadeni Plastics Group Stellung zu wichtigen Aspekten für eine ökologische Verpackung und worauf die Branche achten sollte.

  1. Thema «Nachhaltigkeit & Kreislaufwirtschaft»

Das Dauerthema in der Europäischen Union ist die sogenannte «Circular Economy» (Kreislaufwirtschaft). Auch Verpackungen müssen diesen Anspruch erfüllen, aber er passt nicht immer mit den Anforderungen zusammen, die beispielsweise im Hinblick auf Lebensmittelsicherheit und Produktschutz gestellt werden.

Herr Semadeni, halten Sie diese Vorschriften für zu einengend, und machen sie in Ihren Augen ökologisch Sinn?

Patrick Semadeni: Es ist zu begrüssen, dass es Vorschriften gibt, die uns vor Schadstoffen schützen. Sie müssen sich aber auf wissenschaftlich belastbare Ergebnisse stützen. Das Problem bei Rezyklaten mit Foodcontact ist, dass die entsprechende Verordnung auf EU-Stufe aus dem Jahre 2008 stammt. Damals war Rezyklat-Einsatz, also die Verwendung von wiederaufbereiteten Kunststoffabfällen bei Verpackungen von Lebensmitteln, noch weit weniger oben auf der Agenda. Erst 2018, als die EU ihre Plastics-Strategie kommuniziert hat, nahm das Thema Kreislaufwirtschaft bei Kunststoffen politisch so richtig Fahrt auf. Zwischenzeitlich wurden zahleiche Recyclingverfahren von der EFSA beurteilt und als geeignet für die Herstellung von Food Contact Materialien bewertet, aber die EU-Kommission hat noch kein Verfahren formell zugelassen, wie das die Verordnung vorsieht.

Wie sieht es dazu bei Schweizer Initiativen aktuell aus?

Hier liegen die politischen Aufträge auf dem Tisch. Die Motion 20.3695 fordert mehr Kunststoffrecycling. Und die parlamentarische Initiative 20.433 plädiert für mehr Kreislaufwirtschaft. Im Rahmen der parlamentarischen Initiative wurde auch ein Vorschlag für eine Revision des Umweltschutzgesetzes vorgelegt. Wir erwarten, dass es in Richtung erweiterte Produzentenverantwortung gehen wird. Da wird sich in den nächsten Jahren sehr viel bewegen.

Was ist besser: eine längere Haltbarkeit, um «Food Waste» entgegenzuwirken, oder der Verzicht auf eine wirkungsvollere Barriere zugunsten der Recyclingfähigkeit?

Ganz klar die längere Haltbarkeit. Entscheidend ist, wie viel CO2 die Lebensmittelproduktion verursacht. Und die macht – wie die Studie von Denkstatt nachgerechnet hat – wesentlich mehr aus als das Packmittel. Denken wir etwa an die Salatgurke, die mit einer Folie umwickelt ist. Spontan betrachtet, ergibt das keinen Sinn. Die Gurke hat ja schon eine Schale. Aufgrund von öffentlichem Druck entschieden sich einige Verteiler in Deutschland, die Verpackungsfolie wegzulassen – mit dem Ergebnis, dass die Gurken in schlechtem Zustand aus Spanien ankamen, sie waren einfach nicht mehr verkaufsfähig, infolge hohen Feuchtigkeitsverlusts schrumpelig geworden. Und dann mussten tonnenweise Gurken weggeworfen werden. Darüber hat die Lebensmittel Zeitung 2019 unter dem Titel «Gurken für die Tonne» berichtet. Um alle Menschen mit Lebensmitteln dezentral zu versorgen, braucht es eben auch eine Verpackung. Im Zuge der ganzen Umwelt- und «Zero-Waste»-Diskussion darf die Schutzfunktion der Verpackung nicht vergessen werden.

Wie kann man eine Unternehmenspolitik, Klima-/Umweltschutz und nachhaltige Verpackung mit dem Rohstoff «Kunststoff» zusammenbringen?

Wenn Kunststoff im Kreislauf gehalten wird – sei es im Produkt- oder im Materialkreislauf – dann weisen Kunststoffe auch eine gute CO2-Bilanz auf. Aktuell entstehen die grössten Treibhausgasemissionen bei der Herstellung der Kunststoffe und bei der Entsorgung durch thermische Verwertung. Durch Kreislaufwirtschaft erreichen wir in beiden Bereichen viel tiefere Emissionen. Kunststoffe spielen bei der Bewältigung des Klimawandels eine entscheidende Rolle. Der kürzlich von Innosuisse bewilligte «NTN Innovation Booster Plastics for Zero Emission» unter Leitung von Composites United Switzerland wird deshalb Projekte in diesem Bereich fördern. Eigentlich müsste der Klimaschutz das absolut vorrangige Ziel sein. Und wir müssten alle Massnahmen auf den Klimaschutz ausrichten. Wie lässt sich das schaffen? Nicht jedes Unternehmen kann selbstständig recyceln. Aber wir verfügen bereits heute über Sortier- und Recyclingwerke in der Schweiz. Dieser Teil der Wertschöpfungskette wird stark an Bedeutung zunehmen. Es sind Investitionen notwendig und diese bedingen Planungssicherheit. Mit dem revidierten Umweltschutzgesetz werden wir mehr Planungssicherheit haben.

Warum sind Kunststoffe so sehr in Misskredit geraten, was lässt sich dagegen tun? Wo könnte man auch ansetzen?

Vor allem wegen dem Littering Problem in Südostasien mit den Bildern vermüllter Strände und Kunststoff, welcher im Meer schwimmt. Das Littering Problem ist zwar auch in der Schweiz vorhanden, aber sehr klein, weit weniger als 1% vom Kunststoffabfall landen in der Umgebung. Ferner ist die Recyclingquote noch zu tief, diese gilt es zu erhöhen. Bei Anteilen welche nicht günstig zu recyclen sind, bietet sich die thermische Verwertung an, möglichst mit Abschöpfen vom Kohlenstoff welcher bei der Verbrennung entsteht – also «Carbon Capture and Utilization» genannt. Mit dieser Technologie können sogar Negativemissionen erzielt werden, wenn auch der Kohlenstoff aus der Verbrennung von biogenen Materialien abgeschöpft wird. So kann der CO2 Sockel von etwas über zehn Millionen Tonnen welcher gemäss Energiestrategie des Bundes verbleibt kompensiert werden. Das wäre eine Top Lösung.

Liegt die Lösung der Nachhaltigkeit also in der Verpackung oder eher in der richtigen Entsorgung bzw. Wiederverwendung?

Nachhaltigkeit beginnt mit einem minimalen Materialeinsatz und beim Design. Eine Flasche für Duschgel etwa kann auch ganz leicht und klein konzipiert werden, indem ein flacher Deckel eingesetzt wird und das Einsatzgewicht minimiert wird. Kunststoff lässt sich intelligent einsetzen mit einem Design, das auch die Rezyklierbarkeit bestmöglich vorbereitet. Auch Mehrweganwendungen sind oft realisierbar. Wichtig sind die End-of-Life-Options. Sammelsysteme sollen sicherstellen, dass die Verpackung vom Endkonsumenten zur Verwertung kommt. Dabei müssen Aspekte e Kosten, Hygiene und Sicherheit berücksichtigt werden. Das sind wichtige Ansatzpunkte. Verpackungen müssen von Anfang an so gestaltet sein, dass sie sich gut recyceln lassen.

Wie weit sind wir mit dem chemischen Recycling in der Schweiz aufgestellt?

Meines Wissens gibt es keine Anlage für chemisches Recycling in der Schweiz. Es gibt in Spanien von Plastics Energy zwei Fabriken, die nach meinem Kenntnisstand etwa 200’000 Jahrestonnen verarbeiten können. Das ist schon Industriemassstab. In Italien entsteht eine Fabrik für Polyester-Recycling, gefördert von der EU. Das ist insofern spannend, als dort auch Textilien verwertet werden können. Konzerne wie Sabic haben Milliardeninvestitionen ins chemische Recycling angekündigt. Der finnische Konzern Neste beschäftigt sich auch mit chemischem Recycling von Kunststoffabfällen und besitzt Kooperationen mit der Kunststoffindustrie. Es sind Milliardenbeträge für solche Recyclingprojekte freigegeben.

  1. Thema «Alternative zum gewohnten Rohstoff»

Für Umwelt-Experten gehört Plastikmüll längst zu den grössten ökologischen Problemen unserer Zeit. Dabei gibt es für viele Plastikprodukte längst geeignete Alternativen, mit denen jeder Einzelne einen Beitrag gegen das Wegwerfplastik leisten und seinen CO2-Fussabdruck bedeutend verringern kann.

Wie hoch ist der Druck aus dem Handel, konsumentenseitig eine Lösung für nachhaltige Verpackungen zu finden und wie sehr beeinflusst dies die Industrie und die Verpackungsentwicklung?

Der Druck ist da. Und da wird bisweilen auch Kunststoff in Frage gestellt. Aber in der Fachdiskussion setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass Kunststoff nicht per se schlecht ist. Nicht jede Alternative ist ökologisch besser, als Kunststoff. Eine Studie von Trucost von 2017 hat berechnet, dass sich die Umweltkosten vervielfachen, wenn man alle Kunststoffanwendungen mit anderen Werkstoffen substituiert. Ganz klar besteht der Druck, Rezyklate einzusetzen – und darauf stellen wir uns auch ein. Verschiedene Kunden haben bereits einen Grossteil ihrer Verpackungen aus Post-Consumer-Material im Einsatz. Damit unterstützen wir die Klimaschutzziele und die Ressourceneffizienz. Es gibt Studien der Wiener Umweltberatung Denkstatt, wie Verpackungen aus Kunststoff zur längeren Haltbarkeit von Lebensmitteln beitragen und damit helfen, Food Waste zu vermindern. Doch spricht nichts dagegen, Verpackungen mittels «Life Cycle Assessment» auf ihre Ökoeffizienz hin zu überprüfen. Generell sollten Verpackungsentscheidungen auf soliden, wissenschaftlichen Fakten beruhen und nicht Ideologien folgen oder nur dem Zeitgeist entsprechen.

Gibt es Ihrer Meinung nach vernünftige Alternativen zum gewohnten Kunststoff, oder ist dies eine Utopie bzw. Wunschdenken?

Von der Menge an Kunststoff, die weltweit bisher produziert und verwendet wurde, machen biobasierte Kunststoffe nur einen Bruchteil aus. Hier kann kurz- und mittelfristig keine grosse Substitution erfolgen. Dort, wo andere biobasierte Werkstoffe eine bessere Ökobilanz aufweisen und dies ökonomisch Sinn macht, lohnt sich eine genauere Prüfung. Aber in vielen Fällen weist Kunststoff die beste Bilanz auf. Das liegt am geringen Gewicht der Verpackungen und dem verhältnismässig tiefen Schmelzbereich. Kunststoffe eignen sich zudem sehr gut für Mehrwegartikel, wie etwa Bowls von reCircle beweisen. Bei biobasierten Alternativen ist auch darauf zu achten, dass keine Schadstoffbelastung entsteht und dass die Food-Contact-Regularien eingehalten werden.

Was wird denn aus der Maispflanze für das sogenannte «Green Packaging»? Wird nur die Zellulose oder werden auch die Maiskörner genutzt?

Vom Mais wird für die Kunststoffherstellung die Stärke verwendet. Die Stärke – sie kann auch aus Kartoffeln stammen – wird chemisch durch einen Fermentationsprozess zu Milchsäure umgewandelt, die polymerisiert werden kann. Es gibt auch Kunststoffe, die mit Zellulose als Verbundkomponente arbeiten. Ferner treffen wir auf «Wood-Plastic-Composites», also Verbundstoffe, bei denen Holzpartikel in der Polymermatrix eingebunden sind. Diese Werkstoffe können aber bei Feuchtigkeit aufquellen. Das ist bei Verpackungen nicht unbedingt erwünscht. Allgemein sollten bei biogenem Feedstock Abfallströme oder Qualitäten genutzt werden, die nicht zum Verzehr geeignet sind, um keine Konkurrenz zur Nahrungskette zu erzeugen. Zu beachten ist auch der Erhalt der Biodiversität.

  1. Thema «Zukunft Verpackungsmarkt Schweiz»

Verpackungen dürfen nichts kosten, heisst es. Nun ist die Schweiz ein verhältnismässig teures Land und hat es schwer, preislich mit anderen, deutlich kostengünstigeren Ländern mitzuhalten.

Wieso gibt es die schweizerische Verpackungswirtschaft noch, womit können wir punkten, bzw. was macht unseren Wettbewerbsvorteil aus?

Im Kunststoffbereich findet in Europa eine Konsolidierung der Verpackungshersteller statt. Es gibt nicht mehr viele Hersteller von Hohlkörpern aus Kunststoff in der Schweiz. Unsere Trümpfe sind gut ausgebildetes Personal, stabile Rahmenbedingungen sowie Innovationskraft. Wir stellen ferner fest, dass Produkte, die früher in der Schweiz abgefüllt wurden, jetzt im Ausland abgefüllt werden. Wenn das im nahen Ausland passiert, dann kann aus der Schweiz noch beliefert werden. Wenn allerdings der Lieferort ein paar Hundert Kilometer weit weg ist, dann kann man noch so innovativ sein, noch so gut ausgebildet, noch so einen hohen Automatisierungsgrad haben – die hohen Transportkosten verteuern die Verpackung derart, dass sie nicht mehr wettbewerbsfähig ist. In der Pandemie haben wir auch gesehen, dass die Beschaffung aus dem Ausland bisweilen schwierig war und auch Importe behindert wurden. Ich hoffe, dass diese Erlebnisse lokale Lieferketten stärken. Diese machen nicht nur ökologisch Sinn, sondern eben auch aus Sicht der Versorgungssicherheit.

Muss vielleicht alles regulatorisch durch die Gesetzgeber verändert werden? Oder bräuchte es mehr Druck vonseiten der Politik und der Gesetzgeber?

Veränderungen sollten auf freiwilliger Basis oder über Anreizsysteme angestossen werden. Da gibt es verschiedene Hebel, zum Beispiel über fiskalische Massnahmen. Solche Anreize helfen, nachhaltige Produkte und Systeme auf den Markt zu bringen. Ausserdem bietet der Einkauf – insbesondere auch das öffentliche Beschaffungswesen – gute Möglichkeiten, ökologische Kriterien stärker zu gewichten. Nachhaltigkeit ist eine «conditio sine qua non» für mich, um zukunftsfähig zu bleiben. Gerade in Zusammenhang mit der angestrebten Klimaneutralität bewegt sich unglaublich viel. Lokale Lieferkette könnten anstelle globaler Systeme treten. Wenn allerdings die Veränderungen nicht oder zu langsam stattfinden, wird der regulatorische Druck steigen. Daher ist es wichtig, dass sich die Industrie aus Eigeninitiative in Richtung Klimaneutralität und Zirkularität transformiert.

Gut ausgebildete Verpackungsspezialisten sind rar. Das sind rosige Berufsaussichten für talentierten Nachwuchs. Wo muss man Ihrer Meinung nach ansetzen, um wieder mehr junge Menschen in der Schweiz für Verpackungsberufe zu begeistern?

Eine grosse Chance bietet sich im März 2022 an der EMPACK in Bern. Die Branche kann jungen Menschen, die dann zur Messe kommen werden, aufzeigen, wie spannend Verpackung sein kann. Ferner sollten wir die Funktion der Verpackung als Schutz und Informationsträger vermitteln und auch die Herausforderungen im Bereich der Nachhaltigkeit ansprechen. Da öffnet sich ein Tätigkeitsfeld, das einen unglaublichen Nachhaltigkeitsimpact hat, und junge Menschen suchen sinnstiftende Arbeiten. Das ist die hervorragende Chance: gerade in der Verpackungsindustrie kann ein junger Mensch wichtige Beiträge zum nachhaltigen Transformationsprozess leisten.

Wo sehen Sie besondere Chancen in der Kommunikation?

Im übergeordneten Sinn in der Kommunikation: vielen Menschen ist nicht bewusst, was eine Verpackung alles bedeutet und beinhaltet. Ich sehe es durchaus als unsere Aufgabe beim SVI und als Verpackungs-Community insgesamt, dass wir den jungen Berufseinsteigern und auch der ganzen Gesellschaft bewusst machen, was die Verpackungsindustrie alles leistet und wie wichtig sie ist.

Das Leitthema der EMPACK 2022 in Bern ist «The Future of Packaging».
Wenn Sie nun ein Fazit ziehen müssten: Wo sehen Sie die Zukunft der Verpackung und Potenzial in der Entwicklung?

Auch künftig braucht es Verpackungen, um Güter während Lagerung, Transport und Distribution zu schützen. In Zukunft werden diese Verpackungen kreislauffähig sein. Ein Thema, das noch gar nicht so intensiv diskutiert wurde, ist das Entwicklungspotenzial, welches sich durch die Digitalisierung ergibt. Gerade auch im Zusammenhang mit der Kreislaufwirtschaft – zum Beispiel die Projekte «HolyGrail» oder «Digital Watermarks» zur Kennzeichnung von Verpackungen. Dadurch wird die Sortierung vereinfacht und der richtige Umgang mit Abfallströmen gefördert. Ferner erlaubt es die Digitalisierung, den Konsumenten viele Informationen mitzugeben, auch bezüglich der Verpackung. Wo wurde sie hergestellt? Aus welchem Material? Wie ist ihr CO2-Fussabdruck? Was sind die End-of-Life-Optionen? Da sehe ich durchaus ein spannendes Potenzial in der Digitalisierung.

Besten Dank für das Gespräch!

in Kooperation mit SVI und INOVERIS

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Jürgen Wirtz

Chefredakteur Schaltschrankbau

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