Autor: Markus Frutig | Geschäftsführer Inoveris 

«Jede Verpackungslösung hat ihre klaren Vor- und Nachteile»

Am 30. – 31. März 2022 findet in der BERNEXPO wieder der nationale Branchentreffpunkte EMPACK 2022 statt. Diverse Aussteller aus dem Bereich Verpackung präsentieren vor Ort Ihre aktuellen Innovationen und die neusten Lösungen für die Herausforderungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Das Leitthema der EMPACK 2022 ist «The Future of Packaging». Im SVI-Roundtable zum Thema nahm Philipp Stalder, Leiter Verpackungsentwicklung bio-familia AG Stellung zu wichtigen Aspekten für eine ökologische Verpackung und worauf die Branche achten sollte.

  1. Thema «Nachhaltigkeit & Kreislaufwirtschaft»

Das Dauerthema in der Europäischen Union ist die sogenannte «Circular Economy» (Kreislaufwirtschaft). Auch Verpackungen müssen diesen Anspruch erfüllen, aber er passt nicht immer mit den Anforderungen zusammen, die beispielsweise im Hinblick auf Lebensmittelsicherheit und Produktschutz gestellt werden.

Herr Stalder, halten Sie diese Vorschriften für zu einengend, und machen sie in Ihren Augen ökologisch Sinn?
Philipp Stalder
: Ich bin grundsätzlich für gewisse Vorschriften, aber als Hersteller, der weltweit Produkte vertreibt, kann ich nur sagen, man sollte eben an die Economy denken, weltweit und nicht nur schweizweit oder europaweit. Und da gibt es diese Unterschiede von Land zu Land. In der Schweiz sogar noch von Gemeinde zu Gemeinde. Deshalb ist das Thema «Vorschriften» enorm komplex. Deshalb verstehe ich, dass man «green washing» macht oder andere Wege sucht, um niemandem auf die Füsse zu treten und trotzdem nachhaltig zu wirken.

Was ist besser: Eine längere Haltbarkeit («food waste») oder der Verzicht auf eine wirkungsvollere Barriere zugunsten der Recyclingfähigkeit?
Unsere Bircher Müesli haben zum Teil über 400 Tage Haltbarkeit. Wenn wir ein Verpackungsmaterial aus Monomaterial wählen mit möglichst wenig oder gar keiner Barriere, können wir nur neun Monate Haltbarkeit garantieren. Man muss also das Verpackungsgut genau kennen und darf nicht ausschliesslich die Nachhaltigkeit der Verpackung betrachten.

Es fordert von allen ein Umdenken und ein Umgewöhnen. Die vielen Nachhaltigkeitsdiskussionen sind rein subjektiv getrieben. Jeder denkt, er wisse was Nachhaltigkeit und Circular-Economy ist. Aber die meisten haben Scheuklappen auf und betrachten nur bestimmte Bereiche. Dabei vergessen sie die Auswirkungen auf das Ganze. Wir kaufen ja nicht eine leere Verpackung, sondern eine ‘Packung’, also eine Verpackung mit Füllgut und diese haben gerade bei Lebensmittel eine Wechselwirkung.

Warum sind Kunststoffe so sehr in Misskredit gekommen und was lässt sich dagegen tun?
Flexible Kunststoffverpackungen sind sehr leicht und platzsparend. Zudem bieten sie einen optimalen Schutz vom Packgut. Alle anderen möglichen Alternativen sind voluminös, was zu mehr Transporten führen würde und dann hätten wir eine grosse CO2 Belastung durch die dadurch verursachten Abgase. Die Kunststoffverpackungen können auch mit platzsparend entsorgt werden. Mehrwegverpackungen aus Metall benötigen deutlich mehr Platz, sie sind immer gleich gross, ob befüllt oder leer. Das sind für mich Vorteile von flexiblen Kunststoffverpackungen: wenig Materialaufwand, einfacher Transport, wenig Gewicht und am Schluss wenig Abfall.

Liegt die Lösung der Nachhaltigkeit in der Verpackung oder eher in der richtigen Entsorgung bzw. Wiederverwendung?
Das Einsammeln des Abfalls wäre der erste Weg um dann eine sinnvolle Wiederverwendung bzw. ein Recycling zu ermöglichen. Den Abfall in der Schweiz einzusammeln ist nicht so unproblematisch einfach, denn die Abfallhoheit liegt bei den Gemeinden. Sonst könnte zum Beispiel die Post den Abfall abholen, aber politisch ist das hochbrisant.
Viele Verpackungen könnte man redimensionieren und damit die Nachhaltigkeit von der Verpackungsherstellung bis zum Entsorgen steigern. Solange aber viel Wert auf Convenience der Verpackungen gelegt wird, ist eine wirklich ökologische Lösung der Verpackung unmöglich. Eine Verpackung mit Schutzfunktion, die «convenience» ist, ist eben nicht ökologisch, ganz einfach schwarz-weiss dargestellt.

  1. Thema «Alternative zum gewohnten Rohstoff»

Für Umwelt-Experten gehört Plastikmüll längst zu den grössten ökologischen Problemen unserer Zeit. Dabei gibt es für viele Plastikprodukte längst geeignete Alternativen, mit denen jeder einzelne einen Beitrag gegen das Wegwerfplastik leisten und seinen CO2-Fussabdruck bedeutend verringern kann.

Wie hoch ist der Druck aus dem Handel, konsumentenseitig eine Lösung für nachhaltige Verpackung zu finden und wie sehr beeinflusst dies die Industrie und Verpackungsentwicklung?
Der Druck aus dem Handel ist riesig, aber sobald man aufzeigt, welche Konsequenzen das hat: Stichwort Verminderung des Mindesthaltbarkeitsdatums, dann entsteht mehr Zurückhaltung. Die Bereitschaft wirklich etwas zu ändern ist klein, weil man nichts an den bestehenden Prozessen verändern will. Zwar ist also der Wunsch nach Fortschritten beim Verpacken da, aber gleichzeitig erhalten wir aus dem Handel Verpackungsideen, die genau das Gegenteil von nachhaltig darstellen. Der Handel stellt teilweise widersprüchliche Anforderungen.

Gibt es Ihrer Meinung nach vernünftige Alternativen zum gewohnten Kunststoff oder ist dies eine Utopie bzw. Wunschdenken?
Jede Verpackungslösung hat ihre klaren Vor- und Nachteile. Als erstes muss darauf geachtet werden was, wie verpackt wird, denn diese zwei Faktoren haben einen grossen Einfluss auf die Wahl des Packstoffes und Packmittels. Zusätzlich müssen noch der Verkaufskanal, die gewünschten Schutzfunktionen und die länderspezifischen gesetzlichen Vorgaben beachtet werden. Somit darf nicht einfach eine alternative Verpackung gesucht werden, sondern es müssen zwingend immer alle Aspekte berücksichtigt werden.

 

  1. Thema «Zukunft Verpackungsmarkt Schweiz»

Verpackungen dürfen nichts kosten, heisst es. Nun ist die Schweiz ein verhältnismässig teures Land und hat es schwer, preislich mit anderen, deutlich kostengünstigeren Ländern mitzuhalten.

Wieso gibt es die schweizerische Verpackungswirtschaft noch und womit können wir punkten, bzw. was macht unseren Wettbewerbsvorteil aus?
Die Vorlaufzeiten für Verpackungsmaterial werden immer kürzer und der Automatisierungsgrad in der Schweiz ist sehr hoch. Aus diesen beiden Gründen hat die Verpackungswirtschaft in der Schweiz sehr gute Wettbewerbsvorteile.

Könnte das auch mal mit Schulungen oder Aus- und Weiterbildungen für Marketing, Expertinnen und Experten generiert werden oder welche Ansätze sehen Sie hierzu?

Ich bin ja auch seit 13 Jahren Dozent für die SVI und wurde von einer Fachhochschule angefragt, um Marketing- und Verkaufsfachleute und Verkaufsleiter zu unterrichten. Es soll um Verpackungen gehen, ihre Vor- und Nachteile und die Bedeutung. Das ist ein sehr guter Ansatz dieser Fachhochschule. Es wäre begrüssenswert schon in den Grundschulen darüber zu sprechen. Man kann dann das Bewusstsein bei den Erwachsenen von morgen dafür bilden, dass eine Verpackung nicht hauptsächlich farbenfroh ist, sondern dazu auch noch nachhaltig und effektiv sein kann.

 

Muss alles regulatorisch durch die Gesetzgeber vielleicht verändert werden oder bräuchte es da mehr Druck von der Politik und von den Gesetzgebern?

Von der Gesetzgebung her braucht es nicht mehr Druck, sondern klare Leitlinien, damit nicht jeder so fährt, wie es ihm in den Sinn kommt. Aber es sollte keinen Zwang geben, sondern einen Spielraum für eigenständige Entscheidungen.

 

Was ist das Spezielle an der Innovationskraft der Schweizer Verpackungswirtschaft?

Wir schaffen die Innovation nicht zuletzt mit guten Verpackungen, aber auch mit den guten Müeslis, die auch immer wieder neu kreiert werden. Wir haben rund 370 verschiedene Sorten, das ist sich kaum jemand bewusst. Und es werden wöchentlich immer wieder neue Innovationen getestet, degustiert und auf den Markt gebracht. Wir sind so stark automatisiert, wie es nur geht, damit wir konkurrenzfähig bleiben. Qualität bedeutet immer auch Qualität des ganzen Prozesses. Dazu gehören selbstverständlich auch unsere Verpackungslieferanten.

 

Gut ausgebildete Verpackungsspezialisten sind rar. Das sind rosige Berufsaussichten für talentierten Nachwuchs. Wo muss man Ihrer Meinung nach ansetzen, um wieder mehr junge Menschen in der Schweiz für Verpackungsberufe zu begeistern?
Verpackungen sind absolut zukunftsfähig, weil im Gegensatz zu anderen Kommunikationsmitteln, die digitalisiert werden, kann eine Verpackung nicht plötzlich eine PDF-Datei sein. Man muss jungen Leuten den Berufseinstieg zeigen und ihnen zeigen, dass sie einen zukunftsfähigen Beruf haben, der dann nicht irgendwann durch die fortschreitende Digitalisierung eliminiert wird. Auf Seite Information der Berufseinsteiger und möglichen Quereinsteigern ist noch sehr viel Handlungsbedarf. Oft wird die Verpackungswirtschaft bei Aus- und Weiterbildungsentscheidungen übersehen. Man muss jungen Menschen klarmachen, dass sie nach der Lehre bei uns nicht in eine andre Branche umsteigen müssen, um eine Karrieremöglichkeit zu haben. Sie werden gebraucht und können von der höheren Fachprüfung bis zum Master und MBA alles in der Verpackungswirtschaft erreichen. Wir freuen uns auch auf mehr Lernende und Quereinsteigende.

Das Leitthema der EMPACK 2022 in Bern ist «The future of packaging».
Wenn Sie nun ein Fazit ziehen müssten: Wo sehen Sie die Zukunft der Verpackung und Potential in der Entwicklung? Wo sehen Sie Chancen?
Verpackungen werden auch digitalisiert – Stichworte Diebstahlschutz, Informationen und Marketingeffekte –, aber sie werden nie ersetzt durch ein digitales Produkt. Den jungen Leuten ist nicht bewusst, was eine Verpackung alles bedeutet und beinhaltet. Ich sehe die Chance und auch die Pflicht von uns allen aus der Industrie proaktiv bewusst zu machen, dass wir den jungen Berufseinsteigern und auch der ganzen Gesellschaft bewusst machen, was die Verpackungsindustrie alles beinhaltet und wie wichtig sie ist.

Besten Dank für das Gespräch!

in Kooperation mit SVI und INOVERIS

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Jürgen Wirtz

Chefredakteur Schaltschrankbau

in Kooperation mit unserem Premium Medienpartner Schaltschrankbau

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